Otzenrath 3° kälter

Der Film "Otzenrath 3° kälter" erzählt die Geschichten einiger Bewohner des niederrheinischen Dorfes Otzenrath. Innerhalb von fünf Jahren wurde ihr gesamter Ort umgesiedelt. Es ist der erste von zwölf weiteren, die im Laufe der kommenden 40 Jahre dieses Schicksal teilen werden, weil sie dem Braunkohletagebau "Garzweiler II" im Wege stehen. Jens Schanze setzt die im Jahr 2000 mit dem Film "Otzenrather Sprung" begonnene Erzählung fort. Es gibt ein Wiedersehen mit den Menschen von damals, die versuchen, "Neu-Otzenrath" zu ihrer Heimat zu machen.

"Der Energieträger Braunkohle ist für Deutschland einer der ganz wesentlichen Energieträger. Ich wünsche ihnen viel Glück bei diesem Bau und eine gute Zukunft für die Bundesrepublik Deutschland" ruft die Bundeskanzlerin den Vertretern der RWE AG in Grevenbroich-Neurath anlässlich der Grundsteinlegung für das modernste Braunkohlekraftwerk der Welt zu. "Gratulation an Sie alle, Sie haben ein todschickes, neues Dorf hier" ruft der Direktor des Tagebaus Garzweiler II den Otzenrathern im Kirmeszelt zu. "Ich denke mal, dass die energiepolitischen Probleme nicht so groß waren, dass das alles von Nöten war" sagt der junge Landwirt Markus Mohren und betrachtet die Fläche, auf der bis vor kurzem das 700 Jahre alte Dorf Otzenrath stand.

In Deutschland befinden sich zurzeit 25 Kohlekraftwerke im Bau oder in der Planung, die bis 2012 ans Netz gehen werden. Weltweit werden bis zu diesem Zeitpunkt weit über 1000 neue Kohlekraftwerke in Betrieb gehen - ungeachtet aller Konsequenzen, die laut des Weltklimaberichts der UNO vom Januar 2007 zu erwarten sind, sollte die Produktion des bei der Kohleverstromung entstehenden CO²-Gases weiterhin ungebremst zunehmen.

In Grevenbroich-Neurath baut die RWE Power AG, Deutschlands zweitgrößter Stromversorger, ein Kraftwerk zur Verstromung von Braunkohle auf dem Stand der modernsten Technologie. 6-7 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr sollen ab 2010 hier verbrannt werden; aus jeder Tonne Kohle entsteht dabei etwa eine Tonne CO², die über die Schlote in die Atmosphäre entsorgt wird. Mindestens 30 Jahre lang soll die Anlage laufen.
Die Braunkohle für dieses Kraftwerk kommt aus dem nahe gelegenen Tagebau "Garzweiler II", der ebenfalls von der RWE Power AG betrieben wird. 1998 hatte die nordrhein-westfälische Landesregierung dem Unternehmen die Genehmigung für den Abbau der Kohle in dem 48 km² umfassenden Gebiet erteilt. Im Juni 2006 wurde der Tagebau "Garzweiler II" offiziell in Betrieb genommen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die meisten der 2600 Einwohner von Otzenrath, Spenrath und Holz ihre Umsiedlung nach Neu-Otzenrath und Neu-Holz bereits hinter sich.

Während des letzten Jahres, das die Otzenrather in ihrem alten Dorf verbringen konnten, drehte Jens Schanze mit dem Kameramann Börres Weiffenbach den u.a. mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichneten Film "Otzenrather Sprung" (2001, Produktion: HFF München und ZDF/3sat). Sechs Jahre später besuchen sie die Menschen, die sie damals kennen gelernt haben, erneut. Wie haben der Verlust der vertrauten Landschaft und die Umsiedlung nach Neu-Otzenrath das Leben der Menschen verändert? Wie hat sich die Dorfgemeinschaft verändert?
Der Film "Otzenrath 3° kälter" ist der zweite Teil einer Chronik, die das Schicksal der Otzenrather über einen Zeitraum von etwa zwei Jahrzehnten dokumentieren wird. Im Zentrum des Films steht der junge Landwirt Markus Mohren, den die Umstände unverhofft und zunächst gegen seinen Willen zum Betriebsleiter auf dem elterlichen Hof gemacht haben. Am liebsten wolle er Fußballspieler werden oder etwas mit Börse und Aktien machen, sagte er im Jahr 2000, damals 14-jährig. Um ihn herum gruppieren sich die Wirtsleute der Dorfkneipe, ein Hobbyimker und ehemaliger Kirchenvorstand und ein Bauernehepaar, das noch immer seinen Hof im alten Ort bewirtschaftet, obwohl sich der Braunkohlebagger längst auf Sichtweite genähert hat. Zwischen den Episoden aus dem Leben der Umsiedler begleitet der Film die öffentlichen Auftritte der RWE-Vertreter, die sich im Spannungsfeld zwischen stolzer und pflichtbewusster Erfüllung ihres "gesellschaftlichen Auftrags zur Stromerzeugung" und der Vermittlung der Konsequenzen, die damit für die lokale Bevölkerung sowie für Natur und Landschaft verbunden sind, bewegen.

Während die Menschen in Neu-Otzenrath versuchen, sich in ihrem neuen Ort und in ihren neuen Häusern zurechtzufinden, werden die letzten Überreste ihres alten Dorfes beseitigt. Als eines der letzten Gebäude wird die denkmalgeschützte Kirche abgerissen. Gleichzeitig bemüht sich der Direktor des Tagebaus die "gutnachbarschaftlichen Beziehungen" seines Unternehmens zu den Umsiedlern zu pflegen. Der Film verfolgt diese parallel ablaufenden Ereignisse über einen Zeitraum von 10 Monaten.